Hey Baby - oder: Die es wissen
wollten
Zwischen Koffern, Taschen, quengelnden Kindern endlich angekommen:
auf einer Insel weit im Meer...
Moment mal, so weit im Meer wohl doch nicht, denn sehen kann ich
es noch nicht vom Klinikgelände aus. Da liegt der Schwarze
Busch dazwischen. Aber gehört habe ich es, und gerochen. Na
und außerdem führt immerhin eine Straße hierher
in dieses Mutter-Kind-Paradies, wenn auch eine durchs Wasser abgespeckte.
Paradiesisch wäre wohl jetzt eine Dusche, ein Bett und kein
Kind, das jammert, weil es heute morgen noch vor den Hühnern
auf Reisen ging, jetzt unbedingt das große Haus erkunden will,
die Ostsee hat es auch noch nicht gesehen, und den Fahrstuhl so
mega-cool findet.
Doch nein, erstmal Koffer, Taschen , Beutel auspacken und dann mit
200 hungrigen Mäulern wenigstens den Magen befriedigen.
Ein Blick zum Buffet - langsam, ganz langsam dämmert es, warum
wir alle hier sind: Verwöhnen lassen und Gedanken an Einkaufen
und Kochen weit weg schieben.
Ab morgen versuchen wir’s.
Morgens kurz vor sechs weckt mich die Sonne. Ihr roter Ball taucht
alles in vielversprechende Lebendigkeit. Doch auch aus dem dritten
Stock und vom Balkon aus kann ich das Meer nicht sehen. Es rauscht
irgendwo hinter den Bäumen.
Radio einschalten. „I wanna knowowow...“ Möchte
ich auch gern wissen, wo ich gestern abend die Kekse hingesteckt
habe. Oje, erst in einer Stunde gibt’s Frühstück!
So sitzen dann zwei Krümelmonster auf dem Sofa und bestaunen
den Morgen.
Dann geht’s zur ersten Pflicht: Aufnahmeuntersuchung. Ein
gequirle wie auf dem Bahnhof. Unterbrochen von freundlichen aber
bestimmten Engeln in weißen Kitteln. So nach und nach verschwindet
jede Mama mit ihren Zwergen hinter einer der Türen.
Und dann tanzt der Stift über die Behandlungskarten. Für
(fast) alle Beschwerden eine Therapie.
Noch Wünsche und Sorgen?
Ja schon.., etwas Ruhe..? Klar doch: Machen Sie mit beim Autogenem
Training.
Noch etwas?
Ja, wissen Sie, mein Selbstbewußtsein...
Ich melde Sie bei unserer Psychologin an. Das wird Ihnen guttun.
Aber vom Sport kann ich Sie nicht befreien, alle müssen zweimal
die Woche.
So, und nun warten Sie bitte draußen, die Ernährungsberaterin
ruft Sie auf.
Uff, das kann ja heiter werden! „I wanna knowow...“:
ob man sich da erholen kann?
So, Sohnemann ins Kinderland gebracht und auf zum Rundgang, damit
ich zur Therapie nicht im Keller lande, wenn autogen in Etage 4
entspannt wird.
War sehr aufschlußreich und fußlähmend, aber nun
noch ein Marathon: für jeden Tag hier soll ich das Mittagsmenü
wählen. Weiß ich, ob mein Magen in 11/2 Wochen lieber
Brokkoliauflauf oder Eintopf wünscht?
Aber nun, nun ist erst einmal ein langes Osterwochenende zum Eingewöhnen.
Toll.
Weniger toll ist unsere Laune, als wir am Ostersonntag aus dem Fenster
sehen. Bunt müßte die Wiese sein, doch statt Eier liegt
ein unschuldiger weißer Teppich vor uns.
„Leise rieselt der Schnee“ - ohweh!
Trotzdem marschiert dann nach dem Frühstück eine große
Kapuzenmannschaft los.
Wohin?
Zum Osterspaziergang.
„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche...“. Bloß
nicht bei uns, nein da kann von Befreiung keine Rede sein, wohl
eher von Umklammerung des Ostseewindes mit Schneezugabe.
Hätte nicht gedacht, dass der Osterhase so wetterfest und einfallsreich
ist.
Denn im Park vor der Kurklinik finden dann doch noch alle Kinder
eine Überraschung, sorgfältig in Zellophan verpackt. Nur
das Osterfeuer hat es schwer, es lodert nicht, es brennt mickrig
vor sich hin.
Also vom Spazieren haben alle genug, wozu gibt’s die Turnhalle
und das Schwimmbad?
Und noch ein Feiertag, bevor es richtig losgeht.
„Hey Baby...“ Also ehrlich, es schwirren mir im Gelände
noch zu viele Männer rum. Das soll eine Mutter-Kind-Kur sein?
Kann man doch auch daheimbleiben, wenn`s im Kopf kreiselt: Hat Er
eine schöne Unterkunft? Was ißt Er und wo? Wann darf
Er uns treffen?
Denn niemand fragt, wie Sie ihrem Kind das eingewöhnen erleichtern
kann, weil Sie es selbst noch nicht konnte. In Sorge um Ihn wird
so mancher nützliche Schwatz mit der Nachbarin und Leidensgenossin
verschoben.
Das muss ab morgen anders werden!
Und nun heißt es: Frauen, kommt aus Euren Schneckenhäusern,
die Männer sind weit weg!
So beginnt der Kuralltag.
Erstes Gebot: Therapieplan lesen lernen. Man bzw. Frau nehme sich
ein großes Blatt, schreibe die Wochentage auf und ordne die
Termine nach der Uhrzeit. Aber schöne große Abstände
lassen, denn wer weiß, was noch alles dazukommt...
Zweites Gebot: Aushänge lesen und ganz flink in die Listen
der Zusatzangebote einschreiben, notfalls mittels Vordrängen...
Drittes Gebot: Frau suche sich eine oder mehrere Leidensgefährtinnen,
deren Typ zu ihr paßt, denn geteiltes Leid ist halbes Leid.
Und so springt die eine oder andere mehr oder weniger ruhige halbe
Stunde heraus.
Viertes Gebot: Ohren gegen Wutgeschrei verschließen. Denn
zum Glück ist es nur in 2% der Fälle das eigene Kind!
Fünftes Gebot: Frau genieße die Therapien inklusive die
kinderfreie Zeit, denn die nächste Erkältung kommt bestimmt!
Und dann sitzen Mütter und Kinder gemeinsam vorm Inhaliergerät.
Sechstes Gebot: Denkt dran, dass Ihr nicht nur Mütter seid!
Singt mit: „Hey Baby...“!
Und das so gekonnt, dass sich die Klinik den DJ für die Abschlußfeier
sparen kann...
Na ja, so in der dritten Woche schleppe auch ich meine Heiserkeit
und mein hustendes Kind zum Arzt. Die Schwester freut sich diebisch:
„Haben wir wieder jemanden erwischt, der noch nicht zum Inhalieren
war!“
Endlich wird es wärmer, wir kriegen Sommerlaune mit im-Sande-faulenzen
und beim Sandbanktreten beißt die Ostsee nicht mehr.
Die Kassen sollten uns noch 4 Wochen geben!
Kulinarisch eigentlich immer verwöhnt, gibt’s noch ein
Überraschungsessen für die Mütter.
Das erinnert mich an das Abschlußessen beim Traumschiff.
Nur waren da ganz gewiß nicht soviel Frauen anwesend. Dachte
immer, unsere Kinder strapazieren unsere Ohren, aber wir Mütter
können auch schnattern wie im Gänsestall.
Vor allem nach einem 94er Alsheimer Müller-Thurgau.
Zum Auftakt gibt es Sommerlichen Blattsalat mit Balsamicovinaigrette
mariniert, Eismeershrimps und Buttercroutons.
Auf dem Teller hochgebauscht, im Mund kaum wahrnehmbar.
Erwärmend wirkt dann die Gemüsebrühe mit Gemüsejulienne
und Grießklößchen.
Und nun warten wir auf das sättigende Schweinelendchen mit
Rahmpilzen, dazu Gemüse mit Hollandaise und Herzoginkartoffeln.
Die Krönung bildet die Eisbombe“SANITAS“, deren
Wunderkerzen unsere Fantasie anregt
Schon toll, nur nicht, wenn der Sohn keine Lust auf Mittagsschlaf
und Betreuung durch andere hat.
Aber das Eis hat ihm geschmeckt.
Wer hat behauptet, vier Wochen sind lang?
Aber eines steht fest: wenn es über hundert verschiedene Ansprüche
gab, sie wurden fast alle erfüllt. Unglaubwürdig? Dann
denke Frau daran, wer für sie daheim kocht und putzt,
wohin sie die Kinder zur Betreuung fahren muss, wieweit es zu Schwimmbad,
Arzt, Masseuse, Fitnesstudio ist. Ganz zu schweigen von der berauschenden
Ostsee und vielen ungenannten Kleinigkeiten.
„Hey Baby...“ Wir wollten es wissen, ob es möglich
ist, den roten Knopf zum Abschalten zu finden.
Bleibt die Frage: in drei oder vier Jahren, welchen Titel besingen
wir dann? |